Göttinger Modell

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Selbstverwaltete Seminare mit einer Gegenwartsphilosophin oder einem Gegenwartsphilosophen nach Wahl: das Göttinger Modell

Vorbemerkung

Wenn sie sich an den Universitäten umschauen, dann werden sie feststellen, dass die meisten Konferenzen, Tagungen und Workshops von Personen organisiert werden, die dem Mittelbau angehören oder bereits Professoren sind. Auch unter den Personen, die regelmäßig als Vortragende zu solchen Veranstaltungen erscheinen, werden sie selten jemanden finden, der nicht entweder Professor, Post-Doc oder Doktorand ist. Demgegenüber ist das Angebot an vergleichbaren Veranstaltungen, die sich in erster Linie an Studenten richten, bestenfalls bescheiden oder nichtexistent. Die Einführung des Göttinger Modells am Frankfurter Philosophieinstitut soll dazu beitragen, diese Angebotslücke zu schließen. Die Idee ist, dass sie bereits als Philosophiestudent die Gelegenheit erhalten, in größtmöglicher Eigenverantwortung ein Seminar zu den Arbeiten eines Gegenwartsphilosophen ihrer Wahl zu leiten und sich in einem darauf aufbauenden Workshop mit dem Philosophen austauschen können, auf dem sie ausgearbeitete Beiträge zu dessen Arbeiten präsentieren.

Mögliche Inhalte

Diese Beiträge können ganz unterschiedlicher Natur sein. Sie können aus eigenen Arbeiten bestehen, die sie vielleicht immer schon mal mit einem Experten aus diesem Gebiet diskutieren wollten, oder sie können die Form eines wohlwollendes Kommentars, einer kritischen Anmerkung oder einer weiterführenden Anregung, in der sie einen Gedankengang aus einer Arbeit des Philosophen weiter entwickeln, annehmen. Der entscheidende Punkt ist, was für einen Beitrag sie vorstellen und welchen Philosophen sie einladen, ist ganz Ihnen überlassen. Sie als Student entscheiden - und das ist die Grundidee hinter dem Göttinger Modell - ganz autonom!

Aufgaben

Welche Aufgaben kommen auf sie zu, falls sie sich dazu entschließen sollten, selbst eine Veranstaltung nach dem Göttinger Modell zu planen und durchzuführen und was sollten sie dabei beachten?

  • Zunächst einmal müssen sie unter sich ausmachen, welche Philosophin oder Philosophen sie einladen möchten. Wenn sie bereits einen bestimmten Philosophen im Auge haben, dann finden sie heraus, ob es in ihrem Kommilitonenkreis jemanden mit ähnlichen Interessen gibt, der sich für diesen Philosophen begeistern könnte.
  • Wenn sie sich auf einen bestimmten Philosophen geeinigt haben, dann besteht der nächste Schritt darin, sich mit ihm oder ihr in Verbindung zu setzen. Ggf. ziehen sie hierbei einen erfahrenen Dozenten aus dem Institut hinzu, der ihnen hilft, ein förmliches Einladungsschreiben zu verfassen und dieses mit einem Briefkopf der Universität versieht. Diese Vorgehensweise bietet sich an, wenn ihre Wahl auf eine Kandidatin oder Kandidaten aus dem Ausland fällt, und sie vielleicht fürchten, wegen sprachlicher Unsicherheiten nicht den richtigen Ton zu treffen.
  • Sie können sich vorstellen, dass sich ihr Emailaustausch nicht auf ein Einladungsschreiben beschränken wird. Sie werden sich noch mehrfach Emails mit dem Philosophen schreiben, in denen sie alle weiteren Einzelheiten ausmachen. Diese Einzelheiten betreffen unter anderem die Vereinbarung eines geeigneten Veranstaltungstermins, die Buchung eines Hotelzimmers oder die Absprache der Literatur, die sie gemeinsam diskutieren möchten. Nachdem sie den ersten Kontakt hergestellt haben, werden sie eine Zeit lang nichts mehr voneinander hören. Sie müssen dann durch gelegentliche Emails sicher stellen, dass der Philosoph oder die Philosophin die Veranstaltung nicht vergessen oder seine Pläne geändert hat. Wenn sie den Kontakt nicht regelmäßig auffrischen, kann es passieren, dass ihr Projekt im Sand verläuft. Hier müssen sie bedenken, dass zwischen dem ersten Kontakt und dem Veranstaltungstermin viele Monate liegen werden. In meinem Fall ist es ganzes Jahr gewesen.
  • Überlegen sie sich auch gut, wen sie einladen! Machen sie sich bewusst, dass sie abhängig vom Bekanntheitsgrad und Alter des Philosophen mit einem unterschiedlichen Auftreten rechnen müssen. Manchmal kann es von Vorteil sein, wenn sie sich für einen jüngeren oder weniger bekannten Kandidaten entscheiden. Dieser wird vielleicht mit großer Freude feststellen, dass es jemanden gibt, der sich mit seinen Arbeiten beschäftigt und ihr Interesse mit besonders engagierter Zusammenarbeit belohnen. Sie müssen selbst wissen, was ihnen wichtiger ist.
  • Wenn der Philosoph schließlich angereist ist, werden sie ihn auch betreuen müssen. Sie sollten ihn mindestens in der Universität herumführen und ihn bei einem Abendessen Gesellschaft leisten.
  • Sie müssen sich auch Gedanken darüber machen, welche Arbeiten sie im Seminar diskutieren und später zum Gegenstand eines Beitrages in dem darauf aufbauenden Workshop machen möchten. Gibt es vielleicht irgendwelche Arbeiten des Philosophen, die sie persönlich besonders interessieren? Oder hat ihr Wunschphilosoph vielleicht in jüngster Zeit eine neue Monographie veröffentlicht oder einen Sammelband herausgegeben? Hier müssen sie beachten, dass sie jemanden eher für einen Workshop gewinnen werden, wenn sie mit ihm oder ihr aktuelle Arbeiten diskutieren. In der Regel wird ein besonderes Interesse daran bestehen, Rückmeldungen auf neueste Arbeiten zu erhalten. Sie sollte auch bedenken, dass sich der thematische Schwerpunkt des Philosophen über die Jahre verschoben oder dessen Ansichten gewandelt haben könnten.


Begleitseminar

Wie bereits angesprochen, umfasst das Göttinger-Modell auch die Organisation eines Seminars. Dazu gehört, dass sie eine Veranstaltungsbeschreibung verfassen, die im Veranstaltungsplan des Instituts übernommen wird. Vielelleicht möchten sie auch einen Semesterapparat mit relevanter Literatur oder einen zugehörigen Olat-Kurs erstellen. In dem Seminar sollten sie auch versuchen, weitere Studenten für einen Beitrag im späteren Workshop zu gewinnen. Der Workshop sollte aus mindestens fünf oder sechs Beiträgen bestehen. Nutzen sie das Seminar aber nicht nur zur gemeinsamen Lektüre, sondern machen sie in ihm auch von der Gelegenheit Gebrauch, Präsentationen zu proben, in denen sie verschiedene Ideen für einen Beitrag austesten können. Denken sie auch daran, dass sie ihre Beiträge rechtzeitig vorbereiten und dem Philosophen rechtzeitig als ausformuliertes Paper zuschicken, sodass dieser es im günstigsten Fall noch vor seiner Anreise lesen kann. Fall sie das nicht tun, kann es passieren, dass sie in der Diskussion aneinander vorbeireden und sie eine einmalige Gelegenheit verspielen, auf ein wichtiges Problem hinzuweisen, das tatsächlich übersehen wurde.

Workshop

Wenn Sie später den Workshop vorbereiten, dann müssen sie folgendes beachten. Sie müssen sich darum kümmern, dass der Workshop rechtzeitig angekündigt wird. Falls es ihnen nicht gelungen ist, weitere Personen aus dem Seminar für einen Beitrag zu gewinnen oder wenn sie einen offenen Workshop veranstalten möchten, dann müssen sie sich um die Verbreitung des Ankündigungsschreibens kümmern. Damit die Ankündigung möglichst auch Interessierte an ihrer Universität erreicht, sollten sie ausreichend Plakate und Flyer erstellen, die sie in den Institutsräumen, in der Bibliothek, an schwarzen Brettern und an anderen geeigneten Orten anbringen. Wenn sie auch Interessierte aus anderen Universitäten erreichen wollen (woran sie natürlicherweise ein Interesse haben werden; etwa weil sie sich mit anderen vernetzen möchten, die zu ähnlichen Themen arbeiten), dann sollten sie Organisationen wie die Gesellschaft für Philosophie, Gesellschaft für Analytische Philosophie oder Information für Philosophie anschreiben und diese darum bitten, den Ankündigungstext als Rundbrief auf Emailverteilerlisten zu setzen.

Erfahrungsbericht

Das alles hört sich nun nach sehr viel inhaltlicher Arbeit und organisatorischem Aufwand an und der eine oder andere von Ihnen wird davon vielleicht abgeschreckt sein und sich fragen, ob es den ganzen Aufwand wirklich wert ist. Ich kann nur sagen, dass ich schon bei der Organisation des Seminars und während der Arbeit an meinem Beitrag sehr viele wertvolle Erfahrungen gesammelt habe. Ich konnte auf diese Weise meine Writing- und Präsentation-Skills entscheidend verbessern. Und durch die Vorbereitung des Workshops habe ich schon früh einen Einblick in einen wichtigen Teilaspekt des Wissenschaftsbetriebs bekommen, der eben auch aus Konferenzen und Tagungen besteht. Insgesamt habe ich also von meiner Erfahrungen mit dem Göttinger Modell sehr profitiert! Falls ich bei Ihnen Interesse für das Göttinger Modell wecken konnte, können sie sich gerne für weitere Fragen an mich wenden.

Michel.deAraujoKurth[at]gmx.net